Johann Friedrich Doles (1715–1797) gehört zu den noch immer zu entdeckenden Komponisten des 18. Jahrhunderts, deren Werke lange Zeit im Schatten Johann Sebastian Bachs gestanden haben und noch zu heben sind. Doles bekleidete im Verlaufe seines Lebens zwei wichtige Posten. Nachdem er sich im Mai 1744 um die Stelle des Stadtkantors und Musikdirektors im sächsischen Freiberg erfolgreich beworben hatte, oblag ihm dort die Pflege sowohl der Kirchen- als auch der Schulmusik. Sein Wechsel in das Leipziger Thomaskantorat, wo er nach dem Tode Gottlob Harrers 1755 aufgrund seines hohen Ansehens ohne die sonst obligatorische Kantoratsprobe einstimmig zu Bachs zweitem Amtsnachfolger gewählt wurde, war ein notwendiger Schritt in Doles' Biographie, nachdem er einen langwierigen und letztendlich erfolglosen Streit mit dem Rektor des Freiberger Gymnasiums und dem dortigen Superintendenten um den Stellenwert der Musik im Fächerkanon der Lateinschulen ausgefochten hatte. Sein Amtsantritt in Leipzig ging mit einer bürgermeisterlichen Ermahnung einher, dass Doles auch seine schulischen Verpflichtungen erfüllen müsse, damit „das Cantorat auf vorigen Fuß, wie bey H. Kunauen gesezet werde und der neüe sowohl die Musik als auch die Information beobachte, inmaßen bey Herrn Bachen viele Desordres vorgegangen“. Während Doles im Oktober 1755 zur Unterzeichnung seines neuen Anstellungsvertrages vor den Rat der Stadt Leipzig geladen wurde, gingen bereits die ersten Bewerbungen um dessen Amtsnachfolge in Freiberg ein, darunter auch eine des greisen Zerbster Hofkapellmeisters Johann Friedrich Fasch, der in seinem Bewerbungsschreiben unter anderem darauf verwies, dass vor annehmung des bißherigen Cantoris und Directoris Musices, Herrn Doles […] bey der damahligen Vacantz die meisten Kirchen=Musiqven zu Freyberg von meiner Composition aufgeführet worden, und daß nur erwehnter Hr. Doles, auch nachher, von einem anderweit – von mir Sich ausgebethenen Kirchen=Jahrgange, fortgefahren hat, dieser meiner arbeit, bey dortigen Gottesdienstl. Übungen, Sich zu gebrauchen [...] Es hat also offenbar ein Musikalientausch zwischen Fasch und Doles stattgefunden. Obwohl keines der Werke, die Doles in Freiberg komponiert hatte, von Fasch in Zerbst aufgeführt worden zu sein scheint (jedenfalls lässt sich in den Aufführungsverzeichnissen der Zerbster Schlosskirche aus den 1740er und 1750er Jahren nichts dergleichen nachweisen), hatte sich dennoch eines bis 1945 in der Bibliothek des Zerbster Francisceums erhalten. Dabei handelt es sich um eine Partiturabschrift von Doles' Vertonung des 96. Psalms Singet dem Herrn ein neues Lied. Doles vertonte in seiner Leipziger Zeit zahlreiche Psalmen, darunter auch zweimal den 111. Psalm nach der Übersetzung Martin Luthers. Eine dieser beiden Vertonungen enthält einen obligaten Orgelpart und ist nachweislich „für die Wiedereinweihung der restaurierten Orgel in der Thomaskirche am Sonntag Estomihi 1773“ komponiert worden. Wann die zweite, hier vorgelegte Psalmvertonung entstanden ist, lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen, doch dürfte das Werk in den 1770er Jahren entstanden sein, da Doles, nachdem er in den 1760er Jahren vor allem figurierte Choräle komponiert hatte, in dieser Zeit damit begann, Psalmen nach dem Modell der evangelischen Kirchenkantate zu vertonen, ohne dabei gemischt-madrigalische Dichtungen (freie Rezitativ- und Arientexte) zu verwenden. Während Doles aber in der oben genannten Vertonung des 96. Psalms gänzlich auf psalmfremde Texte verzichtet, bedient er sich in der hier vorliegenden Vertonung des 111. Psalms eines Kirchenlieds, das er in den vierten Satz integriert. Bei dem Text handelt es sich um die dritte Strophe des von Johann Gramann um 1540 auf den 103. Psalm gedichteten Lieds Nun lob mein Seel den Herren. Doles verwendete die ebenfalls um 1540 von Hans Kugelmann zu diesem Text geschaffene Melodie. Bekannte Kirchenlieder und ariose Partien kombiniert Doles nicht nur in diesem Stück, sondern auch in anderen Werken, zum Beispiel in seiner Dankkantate Wohl dem Volk, das jauchzen kann (dort in den Nummern 2 und 5). In dieser starken Bevorzugung biblischer Texte einerseits und kirchlichen Liedguts andererseits zeigt sich auf eindrucksvolle Weise des Komponisten Musikanschauung, denn ihm war zeitlebens daran gelegen, Kirchenmusiken zu schreiben mit der Absicht Liebe, Vertrauen, freudige Dankbarkeit gegen Gott, Mitleid, sanftes Wohlwollen gegen andere Menschen, Freude über ihre Glückseligkeit, tiefe Traurigkeit über unsere moralischen Vergehungen, süße Ruhe und innige Wonne über das Wohlgefallen des höchsten Wesens, begeisterndes Entzücken über die frohen Aussichten in die Ewigkeit usw. aus[zu]drücken, und [zu] erwecken. Eingängigkeit ist konsequenterweise eines der Grundprinzipien, nach denen Doles seine Kompositionen anfertigte. Die meisten seiner heute erhaltenen Choräle, Kantaten und Psalmen sind im empfindsamen Stil geschrieben. Als solche sollten sie auch in der Gegenwart gehört und erlebt werden.
Besetzung:
Chor (SATB)
Barocktrompete (Clarino I in D, Clariono II in D)
Pauke (Timpani)
Streicher (Violino I,II, Viola)
Basso / Organo / Violone
Chorpartitur und Stimmen auf Anfrage