Johann Friedrich Doles (1715–1797) gehört zu denjenigen Komponisten des 18. Jahrhunderts, deren Schaffen trotz einer Fülle erhaltener Quellen stets im Schatten seines Lehrers Johann Sebastian Bach stand. Obwohl Doles nach dem Tode Gottlob Harrers ohne Kantoratsprobe im Herbst 1755 ins Amt gewählt wurde und sich damit gegen so namhafte Mitbewerber wie Carl Philipp Emanuel Bach, Johann Ludwig Krebs und Johann Gottlieb Görner durchsetzte, wurde sein Schaffen von einigen seiner Zeitgenossen scheinbar recht abschätzig bewertet. Dies jedenfalls lässt sich vermuten anhand der „Vorerinnerung“, die Doles dem Druck seines Wolfgang Amadeus Mozart und Johann Gottlieb Naumann gewidmeten Alterswerkes Ich komme vor dein Angesicht (Leipzig 1790) voranstellte und worin er sich gegenüber Kritikern wie folgt rechtfertigen zu müssen glaubte: Fern sey es von mir, der ich ein Schüler des sel. Sebastian Bachs bin, und selbst viel im Fugenstil componirt habe, die höhere Tonsetzkunst herabzuwürdigen, oder wohl gar zu verwerfen: Nein! Ich mißbillige nur deren unschickliche Anwendung. Wenn ich eine Versammlung gelehrter Tonkünstler zu Zuhörern habe, so würde ich mich freilich gern mit einer tief durchdachten Fuge auf der Orgel usf. hören lassen, aber nicht so in der Kirchenmusik bei der öffentlichen Gottesverehrung, und in der Absicht, ungelehrte Zuhörer zu rühren. – Vielleicht wird man mir den Einwurf machen: Da wird ja aber die Kirchenmusik herab zur Oper erniedrigt! – Was ist denn der Zweck der Opern- musik – bloß unsere sinnlichen Organen[!] zu kützeln? Nichts weniger. Sie soll unser Gefühl für das wahre Schöne, das Gute, das Vollkommene, die Tugend usw. erheben, verfeinern und beleben; sie soll Abscheu vor dem Laster erwecken, uns Trost, Ruhe, Zufriedenheit usw. einflößen, kurz sie soll das Herz des Menschen mit bessern. Ist dieses aber nicht auch die letzte Absicht der Kirchenmusik? Es war konsequent, dass Doles in seinen letzten Jahren seine Musikanschauung verteidigte, da er doch in seinem kirchenmusikalischen Schaffen zeitlebens sehr viel Wert auf Verständlichkeit von Musik und Text legte. Dies belegen zahlreiche seiner erhaltenen Werke zur Genüge: selten bedient er sich der Polyphonie, schreibt vielmehr homophone Vokalsätze, seine Harmoniefolgen weisen eine schlichte Eleganz auf, seine Rhythmen sind eingängig. Größere Intervallsprünge in den Vokalstimmen, die sich nicht immer vermeiden lassen, gleicht er durch den gezielten Einsatz verschiedener Verzierungen aus, so dass auch die Melodie immer sanglich, der Stimmverlauf stets nachvollziehbar ist. Diese Schreibart beschränkt sich freilich nicht auf Doles Kirchenkantaten, sondern findet sich auch in seinen figurierten Chorälen und seinen hymnischen Psalmvertonungen, die er anstelle der „ordentlichen Kirchenmusiken“ (also Kantaten auf gemischt-madrigalische Textdichtungen) seit den 1760er Jahren in den Kirchen der Stadt Leipzig aufführen ließ. Die hier vorgelegte „Dankcantate“ verzichtet gänzlich auf freie Textdichtungen und verwendet an ihrer statt verschiedene eingängige Bibeltexte (aus Psalm 89, Psalm 33 und dem 1. Buch der Chroniken) und streng lutherische Kirchenlieder: die beiden ersten Sätze vertonen Ps 89,16–19, wobei im zweiten Satz ein Solosopran über dem Tenor-Arioso die vierte Strophe des Kirchenlieds In dich hab ich gehoffet, Herr (Text: Adam Reißner 1533, Melodie: nach Seth Calvisius 1597 und Melchior Vulpius 1609) singt. Die Arie mit obligater Orgel vertont Ps 33,20f., die Nummern des nachfolgenden Chorblocks dagegen Ps 33,10–13. Im fünften Satz, wird der Bibeltext lediglich der Bassstimme zugewiesen, während die drei Oberstimmen darüber die zweite Strophe des Kirchenlieds Jesu, wollst uns weisen (Text: Cyriacus Schneegaß um 1591, Melodie: Johann Hermann Schein bei Schneegaß 1597) singen. Für den Schlusssatz greift Doles auf die siebente Strophe des in Nr. 2 bereits zitierten Liedes In dich hab ich gehoffet, Herr zurück. Die herausgehobene Stellung der Orgel als solistisches Instrument lässt bei dieser Komposition an eine Kirchenmusik zur Einweihung einer neuen Orgel oder eines Gotteshauses denken. Unklar ist, zu welchem konkreten Anlass oder zumindest in welchem Jahr das Stück geschrieben worden ist. Da in diesem Werk ein figurierter Choral (Nr. 5) verarbeitet wird, liegt die Vermutung nahe, Doles habe es frühestens in den 1760er, spätestens jedoch in den 1770er Jahren komponiert, als seine figurierten Choräle schon zum Standardrepertoire in den Kirchen der Stadt Leipzig gehörten.
Besetzung:
Chor (SATB)
Barocktrompeten (Clarino I in D, Clarino II in D)
Pauken (Timpani)
Streicher (Violino I,II, Viola)
Basso continuo
Organo / Vc / Violone
Chorpartitur und Stimmen auf Anfrage